
URL: http://www.javajim.de/theorietank/eculture/futurama_hermesconrad.html
Die Zukunft, der Weltraum, unendliche Weiten: Schwarze leben friedlich mit Weißen zusammen. Es gibt zwar keine wirkliche Chancengleichheit, nur Karrierechips, doch Rassenkonflikte sind abgeschafft. Wäre da nicht die Ironie von Futurama. So gerät Hermes Conrad, Bürokrat, im intergalaktischen Stereotypenkampf zwischen die Fronten des 20. und 30. Jahrhunderts.
Kein Auge, ein Auge, zwei Augen oder gar fünf? Diese Frage entscheidet bei Futurama über Normalsein oder Andersartigkeit. Zwei heißt normal, der Rest ist eine Abweichung von der Norm. In Futurama sind somit Außerirdische oder Roboter (mit optischen Ausgängen) Abweichler.
Nicht mehr die Frage Schwarz oder Weiß, sondern die Lebensform bestimmt die Stellung in der amerikanischen Gesellschaft im 30. Jahrhundert. In der Futurama-Zukunft sind alle Menschen gleich; sie treten gemeinsam in einem "Mensch"-Team bei den Olympischen Spielen an.
spektakuläre Außerirdische
Als Prototypen für Exotik und Spektakel gelten im 30. Jahrhundert die Außerirdischen. Was ist an Rastalocken schon exotisch? Unangenehme und schlechte Jobs erledigen Roboter. Schwarze, die noch im 20. Jahrhundert das stereotype Andere repräsentierten und in der Berufswelt oft diskrimiert wurden, stempeln im Jahr 3000 gewissenhaft Anträge. Scheinbar unfällig und völlig unexotisch ist Hermes Conrad, Bürokrat, Stufe 37, für Planet Express als Buchhalter tätig. So erledigt er korrekt und gewissenhaft alle Verwaltungsangelegenheiten und - pun intended - stempelt ab.
Subversion im Cyberspace
Zwar sind im Jahr 3000 alle ethnischen Probleme der Menschheit gelöst. Um futuristischen Frieden, intergalaktische Freude oder synthetischen Eierkuchen geht es bei Futurama aber nicht. Das Jahr 3000 ist keine utopische Vision, sondern ein abgespacter Zerrspiegel des 20. Jahrhunderts. Intertextuelle Science-Fiction wird mit amerikanischer Geschichte und dem banalen Alltagsleben der Serien-Charaktere gepaart. So wird mit den geschichtlichen Rückblicken auf das 20. Jahrhundert - im Sinne von Michel Foucault - Geschichtsschreibung als subjektives, verkitschtes und gewinnbringendes Machtinstrument gezeigt oder die Bagatellisierung der Müllprobleme im 20. Jahrhundert als heldenhaft vorgeführt.
Doch Futurama ist kein weltverbesserndes Päda-Theater. Die Serie will nicht moralisieren, sondern dekonstruiert Gesellschaft zum Zwecke der Gagmaximierung. Dabei sind binäre Oppositionen und Hyper-Ironie (noch stärker als bei den Simpsons) zwei wichtige Instrumente.
Hermes, bürokratischer Rastaman
Gegensätze und Hyper-Ironie treffen besonders in der scheinbar unbedeutenden Figur des Bürokraten Hermes Conrad zusammen:
1) Sein Äußeres:
Formelle Beamten-Kleidung und Rastalocken. Im Äußeren von Hermes Conrad treffen der weiße Spießbürger (Umkehrung der Stereotype) und der schwarze Reggae-Man aufeinander. Das Klischee des emotionalen, naturverbundenen Jamaikaners wird nicht politisch korrekt ausgeschaltet, sondern in bizarrer Übersteigerung genutzt, in dem Hermes zwischen den Rollen des wehleidigen Ehemanns, des korrekten Bürokraten und des groovenden Limbo-Champions wechselt.
2) Sein Beruf:
Bürokrat. Schon im Dschungel Jamaikas hat er geweint, wenn die Akten-Ordner nicht in alphabetischer Reihenfolge standen. Mit dem "jamaikanischen Brauch der Entspannung" - warme Milch und frühes Schlafen - bereitet er sich auf seine Beamtentätigkeit vor.
3) Seine Berufung: Hermes Conrad ist tragischer
Limbo-Dance-Champion. Bei den Olympischen Spielen 2980 bricht sich ein kleiner
Junge das Rückgrat, als er seinen großen Fan nachahmen will. Seitdem
leidet Hermes unter einer Psychose - ein Effekt der Überzivilisation.
Doch der Move liegt Hermes im Blut. Als rhythmischer Retter kehrt er beim
Untergang des Raumschiffs Titanic zurück. Auch bei der Bender-Rettung
in der Bürokratie-Zentrale legt er eine spektakulär groovige Sortierleistung
hin.
die Akte Hermes Conrad
Bleibt zu notieren: Hermes Conrad, Bürokrat Stufe 37, taugt weder als Beamter noch als politisch-korrekter Quoten-Schwarzer im multi-terrestrischen Planet-Express-Team. Sein Doppel-Stereotypisierung (überpenibler Beamter und rhythmischer Limbo-Champion) überqualifiziert ihn als Beamter und disqualifiziert ihn als zukunftsträchtiges Identifikationsmodell.
(Timo Wirth)
Stereotypes:
-"Stereotypes get hold of the few simple,
vivid, memorable, easily grasped and
widely recognized characteristics about
a person, reduce everything about the
person to those traits, exaggerate and
simplify them […]
- Steoreotyping deploys a strategy of
splitting: It divides the normal and the
acceptable from the abnormal and the
unacceptable […]"
(Hall 1997: 258)
Hyper-Ironie: Doppelte Bloßstellen von sozialen Verhaltensweisen. Mit Übertreibung
wird gemeinhin ein Verhalten oder Norm vorgeführt (Ironie). Das dadurch entstehende
moralisch Richtige wird aber schon in nächsten Szene als Klischee entlarvt
(Hyper-Ironie). Soziale Kritik wird so ad absurdum geführt. Die doppelte oder
Über-Ironie wirkt als Treibstoff für das Futurama-Lach-Schiff. (siehe Irwin,
Conard, Skoble 2001:119)
Episoden & Literatur:
-- Futurama. 1999. "Panik auf dem Raumschiff Titanic".
-- Futurama: 1999. "Die Rhytmus-Rückerstattung".
-- Rauscher, Andreas. 2001. "The Hitchiker's Guide to Society - Futurama". In: Gruteser, Michael; Klein, Thomas; Rauscher, Thomas. 2001. Die Simpsons. Subversion zur Primetime.
-- Matheson, Carl. 2001. "The Simpsons, Hyper-Irony, and the Meaning of Life". In: Irwin, William; Conard, Mark T.; Skoble, Aeon J. 2001. The Simpsons and Philosophy.
-- Hall, Stuart. 1997. "The Spectacle of the Other". In: Hall, Stuart. 1997. Representation.
Futurama-Links:
-- Beste Futurama-News - http://www.gotfuturama.com/
-- Fan-Stuff: Ascii-Arts, Skripts etc. - http://www.killbots.com/
-- Chronicals - Futurama statistisch - http://www.frcr.com/
Zuletzt aktualisiert am: 22.04.2002 © JavaJim 2002