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Vor zwei Jahren war er noch ein unbeholfener Vorlese-Debütant, der durch
die Büchereien tingelte, eine Lesung vor gelangweilten Teenies hielt und
"Die Reise nach Jerusalem" spielte. Heute räkelt sich der hippe
Jungdichter in den Talk-Sesseln. In "Blackbox" riskiert er eine dicke
Lippe und schimpft auf "die Schweinejournalisten". Stuckrad-Barre
hat offensichtlich neben der Stereoanlage nun auch einen Computer in seinem
Jugendzimmer. Ist Benjamin jetzt endlich erwachsen?
Sein neuestes Werk "Blackbox" mit dem Untertitel "unerwartete
Systemfehler" will uns der Verlag als "verstörend" verkaufen.
Den Leser erwartet die "Konfrontation eines sicher geglaubten Ordnungssystems
mit plötzlich auftauchenden Störungen, mit Problemen, die sich als
Systemfehler entpuppen, Fehler grundsätzlicher Art oder bloß in der
Bedienung". Aha. Diese Geschichten von Abstürzen, starteten jedenfalls
an der Kasse senkrecht durch und landeten bei Amazon als Topseller direkt hinter
Harry Potter I-IV. Es klingt fast so, als werde Pop-Papst Stuckrad-Barre sich
untreu und wäre ab sofort ein Fall fürs Literarische Quartett und
nicht mehr für "Jetzt". Doch Irrtum: Benjamin ist ganz der alte.
(pop)artige Intertextualität
Nachdem in seinen anderen Büchern schon Plattencover pop-artig verkocht
wurden, benutzt Stuckrad-Barre jetzt, gnadenlos nah am Zahn der Zeit, die Sprache
von Computer-Betriebssystemen und Internet-Software. Wo er früher - nicht
ungekonnt - das CD-Booklet abschrieb, schreibt er jetzt munter alle Texte in
den Dialogfenstern ab. Wir erkennen dies erst mal mit einem beherzten Lachen
wieder und finden es originell, so plötzlich zwischen zwei Buchdeckeln.
serielle Charaktere
Nicht unwitzig ist auch das Personal des Kapitels "Speichern unter: krankenakte
dankeanke": Rechercheur Bob Andrews, Gesellschaftsfotograf Rainald Goetz,
Außendienst-Rechercheur H-h-h-h-hajo Sch-scholz, Edelfeder Petra Hahne, Onkel
Titus, Richterin Barbara Sichtermann. In dieser "Mediensatire, sagt mein
Anwalt" (O-Ton Stuckrad-Barre) treffen wir den "Popautor" im
Surreality-TV. Aber nach der letzten Seitenansicht blättert man wieder
auf den Klappentext. Runzelt die Stirn. Die so bedeutsamen Abstürze hat
man glatt verpasst. Das gesuchte Element konnte nicht gefunden werden. Soll
der Suchvorgang am Anfang fortgesetzt werden?
recycelte Geschichten
Bei allem lässt einem das Gefühl nicht los, dass hier schnell ein
paar Pop-Storys der Marke Stuckrad-Barre in ein intellektuell angehauchtes Konzept
gepresst wurden. Dieses wurde fix von einem Grafiker mit Daumenkino und schicker
Typografie im kühlen Mac-Design verpackt. O.K.: Der existentialistisch
schwarze Einband in der steifen Optik macht Benjamin um zehn Jahre älter.
Und damit man ihn auch hört, schreibt Benjamin die richtig wichtigen Wörter
für alle hörbar GROSS. Aber einen Hörsturz wird man beim (Vor)Lesen
des neuen Stuckrad-Barre nicht bekommen. Fazit
Stuckrad-Barre tretet wie immer Alltag breit und nennt es Pop-Literatur. Das
ist es auch: nach Standardvorlage Normal.dot. Ein Popautor schreibt. Ein Leser
gähnt. In den Hibernationsmodus schalten und im Ordner Gelöschte Objekte
speichern. Apfel x - schadet nix. (Jutta Edinger)
-- Benjamin von Stuckrad-Barre: Blackbox. Unerwartete Systemfehler. Kiepenheuer und Witsch, 2000. (19,90 DM).
Zuletzt aktualisiert am: 03.09.2000 © JavaJim 2000